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27.07.2011
Gewerkschaften
Zeitarbeit im Zangengriff
Die Erfolge der Zeitarbeit provozieren etablierte Gewerkschaften: Niedrigere Löhne schaffen Arbeitsplätze. Ein fragwürdiger Richterspruch bedroht die Existenz vieler Leiharbeitsfirmen und strapaziert die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit.
Von Richard Giesen und Volker Rieble
Gebrochene Vetomacht: Zeitarbeitgeber müssen nicht mehr auf den DGB-Tarifvertrag Bezug nehmen
25. Juli 2011 2011-07-25 13:16:15
Viele wünschen sich einen größeren Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und nennen dies Primat der Politik. Manche Politiker wünschen sich gar, durch Zuruf privatwirtschaftliches Verhalten steuern zu können: Atomkraftwerke abschalten, Managergehälter begrenzen, Bankenbeteiligung an der Griechenlandhilfe, Baustopp, wenn einem das Bauwerk nicht mehr gefällt. Zuruf nach gefühltem Volkswillen heißt die Devise. Die Gewerbefreiheit als Errungenschaft erodiert. Begehren Unternehmen Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen, wird das kritisiert, unterschwellige Drohungen werden laut. Dabei ist legitime Kritik sorgsam zu scheiden vom kommandierenden Übergriff - Letzterer zeichnet sich aus durch Druck, Zwang und behauptete Alternativlosigkeit.
Ein Sonderfall des staatlichen Zugriffs ist die Zeitarbeit: Erst hat man diese 2003 dereguliert, insbesondere wurde jede Höchstüberlassungsdauer gekappt, um die Zeitarbeit als Beschäftigungsmotor in schwieriger Arbeitsmarktverfassung zu nutzen. Jetzt aber scheint sie überflüssig, weil die Beschäftigung anzieht. Vor allem aus Sicht der etablierten Gewerkschaften ist die Zeitarbeit eine Bedrohung. Sie verfügen dort über keinen nennenswerten Organisationsgrad, büßen also gegenüber der regulären Beschäftigung Vollbeitragszahler und Organisationskraft gerade im Arbeitskampf ein. Die Politik wünscht sich ebenfalls Normalarbeitsverhältnisse, weil die Betroffenen das als Wähler goutieren. Den Unternehmen aber hilft Zeitarbeit, vorübergehenden Beschäftigungsbedarf zu decken, denn die überlassenen Arbeitnehmer genießen im Einsatzbetrieb keinen Kündigungsschutz - sondern nur gegenüber ihrem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher.
Das schöne Spiel wurde gestört
Unliebsamer Dorn: Die Christlichen Gewerkschaften der Zeitarbeit machen dem DGB Konkurrenz
Die Zeitarbeit abzuschaffen oder wieder stark zu regulieren - das ist nicht möglich, weil die Leiharbeitsrichtlinie der EU die Zeitarbeit schützt. Der unliebsame Dorn besteht darin, dass die Christlichen Gewerkschaften der Zeitarbeit seit geraumer Zeit den im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen Gewerkschaften Konkurrenz machen. Damit unterminieren sie deren Preisherrschaft.
Zwar haben Zeitarbeitnehmer kraft Gesetzes Anspruch auf denjenigen Lohn, der vergleichbaren Arbeitnehmern des Einsatzbetriebes zusteht (equal pay). Eine Abweichung nach unten ist aber durch Tarifvertrag möglich. Daher stehen die Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit (vor allem BZA, jetzt Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister, BAP) vor dem Problem, dass sie die Zustimmung der Gewerkschaft als Tarifpartei einwerben müssen. Da die Angriffsaussperrung in Deutschland graue Theorie ist, bliebe nach dem gesetzgeberischen Konzept eine erhebliche Vetomacht der Gewerkschaft. Merkwürdig daran: Die Entgelte in der Zeitarbeit werden nicht etwa von den betroffenen Leiharbeitnehmern bestimmt; in den Tarifkommissionen entscheiden vielmehr die gewerkschaftlich organisierten Stammkräfte, welches Maß an Unterbietungskonkurrenz sie zulassen wollen. Diese Perversion der Tarifautonomie aus kollektiver Privatautonomie hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt.
Boshafterweise wurde das schöne Spiel gestört, weil die wenigen Christlichen Gewerkschaften, die von der Rechtsprechung noch als tariffähig angesehen werden (allen voran die CG Metall), sich zu einer Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) zusammenschlossen und Einsatzlöhne vereinbarten, die unter denen des DGB-BZA-Tarifes gelegen hatten. Damit war die Vetomacht des DGB gebrochen. Zeitarbeitgeber konnten nun nach eigener Wahl auf den einen oder anderen Tarifvertrag Bezug nehmen. Die DGB-Gewerkschaften waren damit unliebsamem Wettbewerb ausgesetzt.
Das Bundesarbeitsgericht griff zur schärfsten Waffe
Wegen marktgerechter Preise und des sehr starren Kündigungsschutzes erlebte die Zeitarbeit eine Blüte. Fast eine Million Arbeitnehmer beschäftigte die Branche, darunter viele Ungelernte und Aushilfen, die so Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erhielten. Damit geriet die Zeitarbeit zur sozialpolitischen Provokation. Sie stellte die Leiharbeitnehmer schlechter und verschaffte ihnen dennoch, ja gerade dadurch Arbeitsplätze. Das alte Credo, nach dem hohe Löhne und extensiver Arbeitsplatzschutz arbeitsmarktneutral seien, war widerlegt. Zugleich war die Zeitarbeit ein exquisiter Beleg dafür, dass ein Niedriglohnsektor durchaus Menschen mit Marktzugangsschwierigkeiten in Lohn und Brot bringen kann.
Die Gegenwehr des DGB ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem die IG Metall setzte bei den von ihr beherrschten Großunternehmen durch, dass nur solche Zeitarbeitgeber Aufträge erhielten, die den richtigen, also den DGB-Tarif befolgten. Zusätzliche Hindernisse sind Leiharbeitnehmerquoten und gelegentliche Verpflichtungen der Einsatzbetriebe, das Entgelt auch über den DGB-Zeitarbeitstarifvertrag hinaus aufzustocken. Das sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. Das Kartellamt unternahm: nichts. Auch die Arbeitsgerichte haben die außergewöhnliche Praxis nicht beanstandet. Kollektivmacht geht hier schon lange vor Recht.
Equal Pay: Kraft Gesetzes haben Zeitarbeitnehmer Anspruch auf den Lohn vergleichbarer Arbeitnehmer
Weil auch das nicht ausreichte, um den erheblichen Markterfolg der Christentarife zu beschränken, griff das Bundesarbeitsgericht zur schärfsten Waffe: Es entzog der Christentarifgemeinschaft in einer Überraschungsentscheidung vom 14. Dezember 2010 die Marktzulassung - indem es befand, dass die gesetzlich gar nicht geregelten Anforderungen an die Tariffähigkeit verfehlt würden. Bezeichnenderweise wurde das Verfahren vom Berliner Senat eingeleitet.
Die sozialpolitische Intervention als rechtlicher Fortschritt
Zentrales Argument war die Schwäche der Christentarifgemeinschaft im Leiharbeitssektor; ihre Tarifverträge seien Gefälligkeitswerke. Indes teilt ebendiese Schwäche auch der DGB: Warum sollen Zeitarbeitnehmer auch Mitglied einer Gewerkschaft sein, wenn deren Tarifverträge nur den Sinn haben können, die Entgeltgleichstellung abzubedingen, also die Löhne zu senken. Im Kern sind die DGB-Gewerkschaften in der Zeitarbeit genauso schlecht und dysfunktional wie die Christengewerkschaften. Deshalb waren nicht wenige Tarifrechtler der Auffassung, das Bundesarbeitsgericht könne gar nicht anders, als die Christen in ihrer Tariffähigkeit zu bestätigen - weil es sonst auch um den DGB-Tarif geschehen wäre.
Die Arbeitsrechtler hatten die juristische Findigkeit des Erfurter Bundesgerichts unterschätzt. Zwischen DGB und Christen gab es einen formalen Unterschied: Die DGB-Tarifgemeinschaft ist eine solche, sie ist eine mehr oder minder lose Verbindung der Einzelgewerkschaften ohne kollektive eigene Tariffähigkeit. Die Christen-Tarifgemeinschaft hingegen ist als Spitzenorganisation konzipiert, die eine eigene übergeordnete Tariffähigkeit für sich in Anspruch genommen hatte. Dementsprechend konnte das Gericht die Christen dadurch zu Fall bringen, dass es eine vollkommen neuartige Anforderung an gewerkschaftliche Spitzenorganisationen formulierte: Die Mitgliedsgewerkschaften der Spitzenorganisation müssten dieser die eigene Tariffähigkeit vollständig vermitteln. Das heißt praktisch: IG Metall und IG BCE könnten keine gemeinsame Spitzenorganisation für das Metall- und Chemiehandwerk errichten, weil beide auch für die Industrie zuständig sind.
Diese These ist so neuartig, dass sie in den sechzig Jahren der Geltung des Tarifvertragsgesetzes noch nie von irgendwem vertreten worden ist. Vielmehr war es durchgängige Auffassung, dass die Zuständigkeit einer Spitzenorganisation hinter der kumulierten Zuständigkeit aller Mitgliedsverbände zurückbleiben durfte. Die sozialpolitische Intervention tarnt sich als rechtlicher Fortschritt.
Unter dem Christenregime stand den Leiharbeitern der Equal-Pay-Lohn zu
Das entscheidende Problem hat das Bundesarbeitsgericht gar nicht gelöst: Ab welchem Zeitpunkt sind nun keine Christentarifverträge mehr möglich? Ab dem Entscheidungsdatum 14. Dezember oder schon vorher? Aus verfahrensrechtlichen Gründen konnte das BAG nur die Tarifunfähigkeit für die Zukunft feststellen; ein anderer Antrag war nicht gestellt. Die Folge: Über die Tariffähigkeit der CGZP in der Vergangenheit muss weiter gestritten werden; das geschieht für ausgesuchte Tarifabschlusstage derzeit vor dem Landesarbeitsgericht Berlin. Das Arbeitsgericht Berlin hat in der ersten Instanz am 30. Mai entschieden, dass die CGZP auch schon in der Vergangenheit tarifunfähig gewesen ist, weil die Begründung des BAG denklogisch auch schon in der Vergangenheit greife. Betont hat das Arbeitsgericht aber auch, dass mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz damit über die Wirksamkeit der Tarifverträge in der Vergangenheit noch nichts gesagt sei.
Diese Zurückhaltung hat gute Gründe: Denn das neue Richterrecht aus Erfurt ist überraschend, wurde inhaltlich zuvor nie auch nur diskutiert, so dass sich die Tarifparteien der Zeitarbeit auf derartig neue Anforderungen nicht einstellen konnten. Als Gesetz wäre eine solche rückwirkende Verschärfung der Anforderungen am Rechtsstaatsprinzip gescheitert. Dass dasjenige, was durch Gesetz nicht geht, durch Bundesarbeitsrichterrecht möglich sei, fällt schwer zu glauben.
So bleibt zunächst eine erhebliche Rechtsunsicherheit: Waren die Tarifverträge der CGZP schon immer unwirksam, weil diese Spitzenorganisation schon immer tarifunfähig gewesen ist, so stand den Leiharbeitnehmern unter dem Christenregime von Anfang an der Equal-Pay-Lohn vergleichbarer Arbeitnehmer des Einsatzbetriebes zu. Ist die Rückwirkung der neuen Tariffähigkeitsanforderung dagegen ausgeschlossen, so waren die Tarifverträge in der Vergangenheit wirksam.
Interessantes Verfahren der Beitragsgläubiger
An sich ist diese Rechtsfrage vor den dafür zuständigen Arbeitsgerichten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu klären. Dann aber kämen die bösen Zeitarbeitgeber mit Christentarif ungestraft davon. Das wiederum entspricht nicht dem Konzept der sozialpolitischen Intervention. Deshalb treten nun die Sozialversicherungsträger auf. Denn dort hat der DGB über die sozialversicherungsrechtliche Selbstverwaltung Mitspracherechte. Sowenig Krankenkassen einschreiten, wenn Arbeitnehmer sich im Arbeitskampf einer DGB-Gewerkschaft dauerkrank melden, um Krankentagegeld abzusahnen (wie damals beim AEG-Streik), so sehr lässt sich der Einzug der Sozialbeiträge als Druckmittel gegen unliebsame Arbeitgeber mit Christentarif einsetzen.
Indes besteht auch insoweit eine erhebliche Rechtsunsicherheit: Erst wenn man weiß, ob die Tarifverträge unwirksam gewesen waren, und wenn für jeden einzelnen Leiharbeitnehmer aufwendig festgestellt ist, welchen Lohn er kraft Entgeltgleichstellung mit Blick auf vergleichbare Stammarbeitnehmer zu beanspruchen gehabt hätte, steht auch die sozialversicherungsrechtliche Beitragsschuld fest. Die Last der Ermittlung liegt bei den Sozialversicherungsträgern, die über die ihnen anvertraute Betriebsprüfung das Entgelt- und Beitragsschicksal für jeden einzelnen Leiharbeitnehmer nachprüfen müssten. In der Vergangenheit haben die Sozialversicherungsträger stets Beiträge nach Maßgabe auch der Christentarife gefordert.
Um sich die aufwendigen Ermittlungen zu ersparen, haben die Beitragsgläubiger nunmehr ein interessantes Verfahren ersonnen: Erstens seien diejenigen Zeitarbeitgeber mit Christentarif von sich aus verpflichtet, die Beitragsschuld unter Anwendung des Equal-Pay-Grundsatzes zu ermitteln - auch wenn das Sozialgesetzbuch IV keine derartige Pflicht kennt.
Gehorchen oder untergehen
Der rechtsstaatliche Einwand, dass doch jeder Arbeitgeber das Recht haben muss, eine vom Gläubiger geltend gemachte Beitragsschuld zu bestreiten und vor den Sozialgerichten klären zu lassen, wird elegant aus der Welt geschafft: In einem Rundschreiben haben die Krankenkassen als Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag den betroffenen Zeitarbeitsunternehmen die sofortige Erhebung von Säumniszuschlägen angedroht - auf eine unbekannte und womöglich gar nicht existierende Beitragsforderung.
Zudem und vor allem bedrohen sie die betroffenen Unternehmen mit der Insolvenz: Die Vorstände und Geschäftsführer derjenigen Zeitarbeitsunternehmen unter Christentarifregime seien wegen der nur möglichen Beitragsschuld verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen und sich damit selbst vom Markt zu nehmen. Zur Abwendung bieten die Einzugsstellen an, die Beiträge zu stunden - aber nur, wenn sich der Beitragsschuldner auf ein im Sozialgesetzbuch IV nicht vorgesehenes Modell der Beitragsschätzung einlässt. Flankiert wird das Ganze durch die Voraussetzung, dass die betroffenen Zeitarbeitgeber die freie Liquidität des Unternehmens zu 80 Prozent an die Sozialversicherungsträger als Abschlagszahlung abführen. Irgendeine Plausibilität dafür, dass die heutige Liquidität ein Maßstab für Beitragsschulden in der Vergangenheit sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Das heißt praktisch: Jeder Arbeitgeber, der die durch verordnete Selbstschätzung gemutmaßte Beitragsschuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor den Sozialgerichten klären lassen will, muss über so viel Kapital verfügen, dass ihm keine Überschuldung droht. Für alle anderen heißt es: Gehorchen oder untergehen.
Wie eine staatlich organisierte Schutzgelderpressung
Die für Betriebsprüfungen zuständige Deutsche Rentenversicherung Bund hat am 23. Juni eine Handlungsanleitung ausgegeben. Abweichend von den Ideen der Krankenkassen, soll ein Schätzungsverfahren unter Verwendung von Stichproben erfolgen. Andernfalls sollen die Christen-Entgelte nachträglich pauschal um 24 Prozent erhöht und auf dieser Grundlage Sozialbeiträge abgeführt werden. Wie die Rentenkasse auf die 24 Prozent kommt, wird nicht mitgeteilt. Ebenso wenig wird eine Rechtsgrundlage dargetan, weil es diese nicht gibt. Das Ganze mutet wie eine staatlich organisierte Schutzgelderpressung an. Inzwischen erwägen erste Unternehmen Strafanzeigen wegen Nötigung und Erpressung.
Weil dieser Druck noch nicht verbreitet für Einknicken sorgt, hat die Bundesagentur für Arbeit noch einen draufgelegt: Seit Anfang Juli nutzt sie ihre Funktion als Aufsichtsbehörde und verlangt in Rundschreiben an die Zeitarbeitsunternehmen den Nachweis, dass die für die Vergangenheit geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge geleistet seien. Andernfalls fehle die erforderliche Zuverlässigkeit, weswegen die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung entzogen werden müsse. Das ist nicht nur skurril: Zwar rechnet die Abführung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge durchaus zu den Zuverlässigkeitsmerkmalen eines Arbeitgebers; doch garantiert das Rechtsstaatsprinzip jedem Arbeitgeber, ebendiese Frage gerichtlich klären zu lassen. Ein Arbeitgeber, der eine zweifelhafte Beitragsforderung in Frage stellt und klären lassen will, ist deshalb nicht unzuverlässig.
Das Rückwirkungsverbot wurde gerade im Beitragsrecht aktiviert
Erstaunlicherweise werden Sozialversicherungsträger und Bundesagentur nach unserer Kenntnis bislang nur gegenüber solchen Unternehmen tätig, die selbst unmittelbar an die Christentarife der Zeitarbeit gebunden waren - sei es als Mitglieder des (inzwischen im BAP aufgegangenen) Arbeitgeberverbandes AMP, sei es als haustarifschließende Unternehmen. Solche Zeitarbeitgeber, die CGZP-Tarifverträge nur kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag angewandt haben, werden bislang verschont. Diese asymmetrische Beitragsniederschlagung legt den Verdacht nahe, dass gerade jene Unternehmen für ihr Tarifgeschäft abgestraft werden sollen, die mit der Christengewerkschaft in unmittelbarem Kontakt standen. Rechtlich begründbar ist solche Verfolgungsselektion nicht.
Nur auf den ersten Blick erstaunt, dass die Wirtschaftsverbände dies kritiklos hinnehmen. Doch herrscht dort ein Interessenkonflikt: Werden die Beitragsschulden ausermittelt, so droht den Einsatzbetrieben eine gesetzliche Bürgenhaftung. Gelingt es, die Verleiher auf das Abstottern geschätzter Beiträge zu verpflichten, kommen die Einsatzbetriebe davon. Ein Automobilhersteller übt bereits rechtswidrigen Druck auf seine Verleiher aus, sich dem rechtswidrigen Ansinnen zu beugen. Unternehmen missachten die Unternehmerfreiheit - um die eigene Haut zu retten.
Dass das skizzierte Vorgehen die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit (über)strapaziert, liegt auf der Hand. Auch manche Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger haben Bedenken, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der politischen Opportunität zu opfern. Die Hoffnung ruht nicht auf Erfurt, sie ruht auf Kassel. Das Bundessozialgericht sieht die Sozialversicherungsträger verpflichtet, den Unternehmen bei der Beitragsabführung hilfreich und sorgsam zur Hand zu gehen. Gerade der Fall, dass sich auf einem fremden Rechtsgebiet durch Rechtsprechungsänderung die beitragsrechtliche Lage ändert, ist entschieden. Das Bundessozialgericht hat das Rückwirkungsverbot gerade im Beitragsrecht aktiviert. Die Urteile sind in der amtlichen Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts zu finden (BSGE 51, 31; BSGE 55, 297). So bleibt die Erwartung, dass der Rechtsstaat am Ende von den Sozialgerichten verteidigt wird. Sie sind der sozialpolitischen Intervention weit weniger zugeneigt als andere.
Richard Giesen ist seit 2009 Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am dortigen Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR). 1964 in Bonn geboren, wuchs Giesen in Nikosia, Athen und Addis Abeba auf. Jura studierte er in Freiburg und Bonn, wo er 2001 habilitiert wurde. Es folgten Lehrtätigkeiten in Köln, Darmstadt und Gießen.
Volker Rieble lehrt seit 2004 Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zugleich ist er Gründungsdirektor des ZAAR. Rieble, 1961 in Karlsruhe geboren, hat neben Jura auch Volkswirtschaftslehrer studiert. Er ist eiere der bekanntesten und streitbarsten deutschen Arbeitsrechtler. Zudem befasst er sich mit dem heiklen Thema wissenschaftlicher Plagiate.
Quelle: FAZ.net